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Lernen ohne Druck und Zwang

Viele Menschen wollen an Schulpflicht und Lernzwang festhalten, weil sie befürchten, daß Kinder sonst nichts mehr lernen würden.

Freie und Demokratische Schulen, in denen die Schüler selbst entscheiden, was, wann und wie sie lernen, zeigen, daß Kinder zum Lernen nicht gezwungen, gedrängt oder überredet werden müssen. Menschen haben ein natürliches, angeborenes Lernbedürfnis. Kinder sind neugierig und wollen lernen. Sie wollen die Welt, die sie umgibt, begreifen.

Lesen und Schreiben

Die zentrale Sorge der Skeptiker der Lernfreiheit gilt meist der Frage, ob Kinder denn von sich aus Lesen, Schreiben und Rechnen lernen werden. Diese Grundfertigkeiten werden – zurecht – überall in der Gesellschaft für so wichtig gehalten, weil sie aus dem Lebensalltag kaum wegzudenken sind. Doch gerade deshalb sind auch Kinder z.B. ständig mit Geschriebenem konfrontiert: Wenn man als junger, neugieriger Mensch überall Zeichen sieht, die für einen wie Unsinn aussehen, die aber jeder um einen herum versteht – würde man es dann nicht auch können wollen? Schließlich kann man dann Comics, Hinweisschilder, Briefe und Bücher selbst lesen und ist weniger abhängig von lese- und schreibkundigen Menschen. Außerdem ermöglicht einem das Lesen-Können, Dinge, die einen interessieren, selbständiger zu lernen. Auch wer das Internet benutzen will, ist auf das Lesen angewiesen. Selbst in Computer- und Videospielen kommt Schrift vor. Es ist nahezu unvorstellbar, daß ein Kind in so einer Umgebung nicht früher oder später den praktischen Nutzen des Lesens und Schreibens erkennt.

Der Wunsch, lesen zu können, tritt aber nicht bei jedem Menschen mit genau 6 Jahren auf, sondern bei manchen vielleicht erst mit 9 oder 10 Jahren, bei anderen hingegen schon mit 4 Jahren. Aber sobald Kinder von sich aus Lesen und Schreiben gelernt haben, merkt man ihnen nicht an, in welchem Alter sie es gelernt haben.

Wir finden es ungerechtfertigt, daß gerade Lernen ohne Zwang so häufig mit Analphabetismus assoziiert wird, obwohl es doch das staatliche Pflichtschulwesen ist, das eine beträchtliche Zahl von Analphabeten hervorbringt. In Deutschland können etwa 4 000 000 Menschen über 14 Jahren nicht oder kaum lesen und schreiben. Der weitaus größte Teil dieser funktionalen Analphabeten hat eine staatliche Schule besucht, hatte aber andere Dinge im Kopf, als dort Lesen und Schreiben unterrichtet wurde. Die Erwartung, daß alle zum gleichen Zeitpunkt lesen können sollen, machte es ihnen schwer, später um Unterstützung beim Lesen- und Schreibenlernen zu bitten, so daß sie es vorzogen, ihre Wissenslücke zu verstecken.

Rechnen

Ebenso wie das Lesen und Schreiben kommen im Alltagsleben häufig Situationen vor, in denen mathematische Grundkenntnisse – Grundrechenarten, Bruch- und Prozentrechnung – von Nutzen sind, insbesondere im Zusammenhang mit Geld. Ähnlich wie beim Lesen und Schreiben wollen Kinder auch früher oder später eigenständig mit Geld umgehen können.

Lernmotivation

Was auch immer Menschen lernen – am effektivsten lernen sie, wenn ihnen das zu Lernende bedeutend erscheint. Dinge, die sie nicht interessieren, vergessen sie schnell wieder. Entscheidend für erfolgreiches und langanhaltendes Lernen ist eine eigene, innere Motivation. Sie beschleunigt das Lernen erheblich: sobald jemand sich entschlossen hat, eine Sache zu lernen, benötigt er dafür oft nur einen Bruchteil der in der Schule üblichen Zeit. Es lohnt sich, den Kindern die Entscheidung zu überlassen, wann sie was lernen. Die Bereitschaft, eine Sache zu lernen, läßt sich nicht verordnen.

Lerninhalte nicht verbindlich festlegen

Darüber, daß man Lesen, Schreiben und Rechnen können sollte, mag noch weitgehende Einigkeit bestehen. Doch was Menschen darüber hinaus wissen sollten, ist umstritten und hängt wesentlich davon ab, in welchen Kreisen man verkehrt. Im Grunde gibt es keine Lerninhalte, die tatsächlich absolut notwendig sind; Wissen und Fähigkeiten sind stets nur bedingt notwendig. Wenn jemand eine bestimmte Sache erreichen will, muß er dazu dieses oder jenes können oder wissen – wenn nicht, dann nicht.

Es erscheint uns weder nötig noch sinnvoll, von allen zu verlangen, das gleiche zu lernen. Trotz verbindlicher Lerninhalte in der Schule wissen Erwachsene nicht alle das gleiche. Die meisten Menschen beherrschen nur das, wofür sie sich interessieren, während sie den Rest wieder vergessen (oder erst gar nicht gelernt) haben. Doch obwohl sie über einen Großteil des vermeintlich wichtigen Fachwissens, das alle in der Schule lernen mußten, kaum Bescheid wissen, bereitet ihnen das im alltäglichen Leben fast nie Probleme.

Häufig wird gegen völlige Lernfreiheit eingewandt, daß Kinder noch nicht wissen könnten, welches Wissen bzw. welche Fähigkeiten sie einmal brauchen werden. In unserer sich immer schneller verändernden Welt kann jedoch auch kein Erwachsener sagen, welches Wissen heutige Kinder in Zukunft als Erwachsene brauchen werden.

Es lohnt sich nicht, alles mögliche auf Vorrat zu lernen. Bei der riesigen und immer größer werdenden Menge an weltweit verfügbarem Wissen wäre das auch gar nicht möglich. Man kann Dinge dann lernen, wenn absehbar ist, daß man sie braucht. Wenn man etwas Konkretes wissen will, kann man es in einem Lexikon nachschlagen, im Internet danach suchen oder jemanden fragen. Viele Fakten, Zahlen und Zusammenhänge wird jeder im Laufe der Zeit ganz nebenbei hier und da aufschnappen.

Wichtiger als das Auswendiglernen von Faktenwissen ist die Fähigkeit, sich in neuen Situationen zurechtzufinden und mit neuen Informationen umzugehen. Vor allem kommt es darauf an, die bei jedem Menschen anfangs vorhandene Freude am Lernen zu erhalten.

Lernen, wann man will

Viele Leute glauben, wenn man aufhört, Kindern vorzuschreiben, was sie zu welchem Zeitpunkt lernen sollten, müßten sich die Kinder bereits mit 6 Jahren festlegen, welche Themen sie in ein paar Jahren lernen werden: Wenn sie nicht mit 6 Jahren anfingen, Mathematik zu lernen, hätten sie keine Möglichkeit mehr, mit 13 Jahren Physik zu lernen. Diese Vorstellung geht jedoch von einem äußerst starren Schulsystem (wie etwa unserem heutigen) aus, in dem es jeweils nur einen Punkt gibt, an dem man anfangen kann, sich mit bestimmten Themengebieten zu beschäftigen, weil später „der Zug abgefahren“ sei.

Da man zum einen die für das Lernen so wichtige von innen kommende Motivation nicht verordnen kann und zum anderen Menschen jeden Alters bei vorhandener Motivation erheblich schneller und mit dauerhafterem Erfolg lernen, muß das Bildungswesen so konzipiert werden, daß ein Schüler im wesentlichen jederzeit anfangen kann, sich mit bestimmten Themen zu beschäftigen.

Orientierung an der Außenwelt

Junge Menschen, die in Freiheit aufwachsen, wollen im Leben zurechtkommen. Sie lernen deshalb nicht nur die Dinge, die sie unmittelbar interessieren, sondern lassen sich auch auf unangenehme Aktivitäten ein, wenn sie die Grundlage für etwas sind, das sie interessiert, oder wenn sie ihnen helfen, andere Dinge zu erreichen, z.B. den gewünschten Beruf zu bekommen oder die Zugangsvoraussetzung für eine Universität zu erfüllen.

Gerade in einer Umgebung, die frei von Lernzwang ist und in der Kinder selbst die Verantwortung für ihr Lernen tragen, statt blind den Vorgaben anderer zu folgen, nehmen sie aufmerksam Notiz davon, womit andere Kinder und Jugendliche gleichen, höheren oder auch niedrigeren Alters sich beschäftigen. Den Schülern ist also auch bewußt, womit sie sich noch nicht gut auskennen. Und wenn dieses Wissen oder diese Fähigkeiten für sie von Bedeutung sind, werden sie sich auch darum kümmern.

Lernzwang schadet

Lernzwang ist nicht nur einfach unnötig; er richtet auch erheblichen Schaden an. Zwang geht mit einer Bedrohung einher: Wer sich dem Zwang nicht beugt, muß Konsequenzen wie schlechte Zensuren, Sitzenbleiben, Machtdemonstrationen des Lehrers, schulische Ordnungsmaßnahmen und ggf. Ärger mit den Eltern ertragen. Unter einer solchen Bedrohungssituation kann man jedoch kaum lernen, weil man seine Aufmerksamkeit viel mehr auf die Bedrohung als auf das eigentlich zu Lernende richtet. Wer Angst hat und sich bedroht fühlt, kann seine Kreativität nicht entfalten.

Wenn Menschen lernen, tun sie das mit allen Sinnen. Wissen wird im Gehirn nicht einfach zusammenhangslos abgelegt. Wenn man das erworbene Wissen später wieder aufruft, erinnert man sich meist auch an die Umstände, unter denen man mit dem Thema zu tun hatte, also z.B. an bestimmte Unterrichtssituationen und Gefühle. Wenn in der traditionellen Schule der Zwang die Schüler dazu bringt, mühsam, lustlos und gegen den eigenen Willen eine bestimmte Sache zu lernen, werden sie diese Sache stets mit der unangenehmen Zwangslernsituation assoziieren. Um sich diese unangenehmen Gefühle zu ersparen, versuchen sie dann, mit solchen Themen möglichst selten zu tun zu haben. Allein das Stichwort „Mathe“ oder „Latein“ genügt dann, um sie auf sichere Distanz gehen zu lassen.

Das Ausüben von Druck und Zwang senkt also die Wahrscheinlichkeit, daß jemand sich mit dem jeweiligen Thema später wieder beschäftigen will. Wenn jemand etwas nicht lernen wollte, aber dennoch gezwungen wurde, wird er es später – wenn nicht gerade eine Gehirnwäsche dazwischen kommt – entweder nie wieder benutzen oder wenn doch, darunter leiden. Daher bringt die Qual noch nicht mal etwas.

Lernen ist immer situationsbezogen. Deshalb können viele Schüler das Gelernte zwar in einer Leistungsüberprüfung wiedergeben, können es aber nicht in außerschulischen Situationen anwenden. Daher läßt sich auch die Behauptung, Schüler würden in herkömmlichen Schulen „lernen, wie man lernt“, nicht aufrechterhalten.

Lernfreiheit für Menschen jeden Alters

Viele Menschen glauben, daß am ehesten Jugendliche mit der Lernfreiheit zurechtkämen, während kleine Kinder damit überfordert wären. Die Erfahrung von Demokratischen Schulen zeigt jedoch das Gegenteil. Kleine Kinder bringen so viel Energie und Neugier mit. Für sie gibt es noch so viele spannende Dinge zu entdecken. Wohingegen es Jugendlichen, die über eine lange Zeit zum Lernen gezwungen worden sind, wesentlich schwerer fällt, aus eigenem Antrieb zu lernen. Aber nur weil sich Jugendliche erst auf ein selbstgesteuertes Lernen umstellen müßten, heißt das nicht, daß man sie ruhig weiter zwingen kann. Eine Erholung von den Schäden, die das Zwangslernen angerichtet hat, ist nur in Freiheit möglich.

Die in einer freien Lernumgebung entstehende Spontanität, Lebendigkeit und Kreativität läßt sich durch keinen Lehrplan festlegen. Tiefgründiges und über die Schulzeit hinaus anhaltendes Lernen läßt sich nicht erzwingen – aber es kann in Freiheit wachsen.


Version 1 - Januar 2007


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