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Freddy hat keine Chance

Freddy, 9 Jahre, muß um 21:00 Uhr in seinem Zimmer sein und das Licht ausmachen. Allen Fünf- bis Zehnjährigen geht das so, so hat es die Mehrheit der etwa 65 Summerhill-Schüler und -Lehrer im wöchentlich stattfindenden Meeting* beschlossen. Im Summer Term* ist eine halbe Stunde länger erlaubt. Diese Bettzeiten stehen zwischen Regel 24) und 25) der insgesamt 247 am Schwarzen Brett aushängenden Regeln in Summerhill. Aber Freddy - vielleicht der einzige - ist damit gar nicht einverstanden. Immer wieder schleicht er sich aus seinem Zimmer heraus. Bisher hielten ihn auch die dafür vorgesehenen Strafen nicht davon ab. Dazu gehören u.a. Taschengeldkürzungen, Fernsehverbot, Brot und Butter zum Mittagessen, Arbeitsdienste. Sein Antrag auf Änderung dieser Regel wird immer wieder abgeschmettert. Er hat keine Chance, eine Mehrheit für sein Anliegen zu gewinnen.
Die anderen sagen, Freddy würde sonst diejenigen stören, die schlafen wollen. Ganz grundsätzlich, finden einige, wäre ohne Bettgehzeiten - ganz praktisch - ein regelbarer Tagesablauf in Summerhill nicht gewährleistet. "Ich bin froh, daß es Bettzeiten gibt", findet eine 16jährige Schülerin, "sonst würde ich die ganze Nacht aufbleiben und am nächsten Tag wäre ich nicht in der Lage, etwas zu lernen."
Als wir uns abends in der Cafeteria mit einigen Summerhillians versammeln, reden wir auch über Freddy und seinen Anspruch auf persönliche Freiheit, solange die Freiheit anderer nicht berührt ist. "Es geht uns hier in Summerhill nicht darum, einer Idee zu entsprechen", sagt Ian, ein Lehrer. Entscheidend sei, was praktisch ist und das Zusammenleben ermöglicht. Eine Woche lang wurde es schon einmal ohne Bettzeiten versucht, aber wegen schlechter Erfahrungen wurden sie von der Mehrheit wieder eingeführt. Vielleicht werde die Regel auch wieder mal geändert. Nicht wirklich ein Trost für Freddy.
Zur Zeit bestimmt also die Mehrheit der Summerhillians nicht nur darüber, wann Freddy ins Bett gehen muß. Zuwiderhandlung wird bestraft. In einer ganz persönlichen Angelegenheit erlebt Freddy seine Ohnmacht gegenüber dem Mehrheitswillen der Summerhillians. Solange keine praktikable Alternative gefunden wird und mehrheitsfähig ist, wird Freddys Eigensinn gemaßregelt, egal ob jemand wirklich gestört wird oder nicht.
Gäbe es in Summerhill das Anliegen, Altersdiskriminierungen zu vermeiden und niemanden einschränken zu dürfen in Angelegenheiten, die nur ihn selbst betreffen, müßte es andere Regeln geben. Regeln zum Beispiel, die festlegen, was Rücksicht nehmen bedeutet, wenn jemand schlafen will.
Die jetzige Ins-Bett-Geh-Regel wird von Freddy zurecht als Altersdiskriminierung erlebt. Wenn es allein darum geht, andere nicht am Schlafen zu hindern, bestünde eine vom Alter unabhängige sinnvolle und faire Möglichkeit darin z.B., den Schülern in den einzelnen Schlafräumen selber zu überlassen, wann sie das Schlafengehen und Stillsein vereinbaren.
Ian verabschiedet sich aus unserer Runde. Er muß als Beddie Officer* zu denen, die um 20.30 Uhr im Zimmer sein sollen. Freddy ist verschwunden.

Christoph Klein

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