Brief
des Rechtsanwalts an den Oberschulrat
Rechtsanwalt und Notar
Jens A. Brückner
Moselstraße 3
12159 Berlin
Oberschulrat H. Schmidt
Landesschulamt Außenstelle Schöneberg
Wexstr.2
10825 Berlin
Datum: 26.8.1996
Schüler Benjamin Kiesewetter, Robert-Blum-Oberschule
Sehr geehrter Herr Schmidt,
der Schüler Benjamin Kiesewetter, Langenscheidtstr. 12, 10827
Berlin wird von mir anwaltlich vertreten.
Wie Sie wissen, nimmt der Schüler Benjamin Kiesewetter seit
dem 19.2.1996 nicht mehr am Chemieunterricht teil. Seine Bitte
um Befreiung vom Chemieunttericht wurde vom Schulleiter
abgewiesen. Über den hiergegen eingelegten Widerspruch ist
noch nicht entschieden. Daß grundsätzlich eine
Schulbesuchspflicht gegeben ist, ist unstreitig, doch kann
gleichwohl im Einzelfall ein Anspruch auf Befreiung von
einzelnen Unterrichtsfächern gegeben sein. Ich verweise
insoweit auf mein Schreiben vom 14.6.96.
Aus der Tatsache, daß die Befreiung von einem einzelnen
Unterrichtsfach begehrt wird, welches nach der 11. Klasse
ohnehin abgeschlossen wird, kann nicht auf einen mangelnden
Bildungswillen geschlossen werden. Bei förderkundiger
Betrachtung wäre es für Benjamin Kiesewetter sicherlich
einfacher, in stiller Verweigerung dem Unterricht physisch
beizuwohnen. In diesem Falle würde die physische
Anwesenheit, nicht die geistige und psychische Präsenz
honoriert werden. Daß Benjamin Kiesewetter den persönlich und
rechtlich schweren Weg des Nichterscheinens zum
Chemieunttericht wählt, spricht für die Redlichkeit des
Auftretens und die Lauterkeit der Motive.
Der Bildungswille offenbart sich dabei zugleich auch in der
Notwendigkeit der Auseinandersetzung.
Ich gehe davon aus, daß der Schulaufsicht bei weiter
bestehenden Interessengegensätze an einer pädagogisch
sinnvollen Lösung des Einzelfalls gelegen ist.
Mit freundlichen Grüßen
Brückner, Rechtsanwalt