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Schule > Unterrichtsverweigerung > Klage-Ergänzungen Teil 1 (22.12.96)

Klage-Ergänzungen Teil 1

22.12.1996

Rechtsanwalt u. Notar Brückner, Postfach 410708, 12117 Berlin

Verwaltungsgericht Berlin
Kirchstraße 7
10557 Berlin

In der Verwaltungsstreitsache
Kiesewetter ./. Land Berlin
VG 3 a 1720/96

wurde im Hinblick auf die Erklärung des Klägers vom 28.2.96 davon ausgegangen, daß sich der Antrag lediglich auf die Teilnahme am Chemie-Unterricht in der 10.b Klasse, nicht aber auf die Teilnahme in der 11. Klasse bezieht. Es wurde auch davon ausgegangen, daß sich der Bescheid bzw. Widerspruchsbescheid nur auf die Ablehnung der Befreiung vom Chemie-Unterricht in der 10. Klasse bezieht. Nach den Erklärungen in der mündlichen Verhandlung im Verfahren VG 3 A 1766/96 ist davon auszugehen, daß die Beklagte den Bescheid auch auf die Nichtbefreiung vom Chemie-Unterricht in der 11. Klasse bezieht.

Für die 11. Klasse wurde formal gesondert unter dem 26.8.96 Befreiung vom Unterricht beantragt.

Beweis: Schreiben vom 26.8.96

Dieser Antrag wurde vom Schulleiter mit Schreiben vom 2.9.96 abgelehnt.

Beweis: Schreiben vom 4.9.96

Hiergegen wurde vorsorglich unter dem 21.10.96 nochmals Widerspruch eingelegt.

Beweis: Schreiben vom 21.10.1996

Im Hinblick darauf, daß auch die Beklagte die Befreiung vom Chemie-Unterricht als einheitlichen Vorgang sieht und zwar sowohl für das Schuljahr 1995/1995 als auch für das Schuljahr 1996/97 wird der Antrag in der Klageschrift vom 23.10. 96 dahingehend erweitert, daß die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide der Robert- Blum-Oberschule vom 4. März 1996 in Form des Widerspruchbescheides der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport vom 24.9.96 sowie des Bescheides der Robert-Blum-Oberschule vom 4.9.96 verpflichtet wird, den Kläger in dem Schuljahr 1995/96 und 1996/97 vom Chemie-Unterricht zu befreien.

Nach herkömmlichem Verständnis wird davon ausgegangen, daß der in Art. 7. abs. 1 GG normierte Bildungs- und Eziehungsauftrag des Staates nicht nur die organisatorische Gliederung der Schulen umfaßt, sondern auch die inhaltliche Festlegung der Ausbildungsgänge und der Unterrichtsziele. Bereits in seiner Entscheidung vom 15.11.1974 zum Beschluß des Hamburger Senats über die Einführung der 5-Tage-Woche hat das Bundesverwaltungsgericht jedoch klargestellt, daß unter der Geltung des Grundgesetzes sich weder aus Art. 7 Abs. 1 GG noch aus der herkömmlichen Einordnung des Schulverhältnisses als "besonderes Gewaltverhältnis"noch aus Gewohnheitsrecht herleiten läßt, daß die Schulverwaltung ohne gesetzliche Grundlage zur Regelung des Schulwesens befugt ist. In der Entscheidung wird gefordert, daß die grundlegenden Entscheidungen dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben müssen, wobei hierzu auch die Festlegung der Erziehungs- und Bildungsziele etc. gezählt werden.

Zwar werden im Berliner Schulgesetz die Bildungsziele abstrakt vorgegeben, jedoch nicht in der Form, daß auch eine Entscheidunng darüber getroffen ist, welche Fächer im einzelnen zu unterrichten sind. Mit Ausnahme des Religionsunterricht sind auch heute die herkömmlichen Unterrichtsfächer nicht gesetzlich geregelt. Sie galten als durch Tradition legitimiert und waren zumindest solange, als die Lehre vom besonderen Gewaltverhältnis uneingeschränkt galt, rechtlich unumstritten. Bereits die Einführung neuerer Unterrichtsfächer wie Gesellschaftskunde, Arbeitslehre, Sexualkunde, Mengenlehre im Mathematikunterricht etc. hat hier zu einer Änderung der Auffassung geführt. In seinem Beschluß vom 21.12.1977, betreffend die Einführung des Sexualkundeunterrichts in Hamburg hat das Bundesverfassungsgericht dargelegt, daß für die Einführung dieses Faches und Unterrichtsstoffs eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist, soweit Sexualerziehung über über die Vermittlung biologischer Kenntnisse hinausgeht (Bundesverfassungsgericht Band 47, S. 46 ff). Das Verfassungsgericht hat den zutreffenden Ansatzes des Vorbehalt des Gesetzes im Schulwesen jedoch nicht weitergeführt, sondern dann pragmatisch im Sinne einer Konkudanz zwischen Schul- und Elternrecht gelöst.

Das Bundesverwaltungsgericht hat die Frage, ob die Einführung der Mengenlehre im Mathematikunterricht ein neues Unterrichtsfach darstellt oder nur die Wandlung des methodischen bzw. didaktischen Konzepts eines herkömmlichen Faches beinhaltet, offengelassen, im Beschluß vom 17. Aug. 1980 zuglech aber betont, daß die Bestimmung des Unterrichtsstoffes in der Schule grundsätzlich dem Staat obliegt (Beschluß Bundesverwaltungsgerichts 17.8.1980 7 B 192/79). Die grundlegende Frage, ob die Einführung der Mengenlehre im Mathematikunterricht als wesentliche Entscheidung der gesetzlichen Grundlage bedurft hätte (so Bundesverfassungsgericht Band 45, S. 400; BVerfGE 47, 48 ff; BVerwG 47, 194 ff) konnte dahinstehen, da insoweit ein konkretes Feststellungsinteresse nach den Klageanträgen nicht gegeben war. Allein aus der Tatsache, daß der Staat - im Gegensatz zu den Eltern - das Recht hat, das Unterrichtsfach bzw. den Unterrichtsstoff zu bestimmen folgt daher nicht, daß die Bestimmung des Unterrichtsfachs auch ohne gesetzliche Grundlage erfolgen kann. Im Lande Berlin ist eine gesetzliche Regelung derjenigen Fächer, die im im einzelnen zu unterrichten sind, nicht erfolgt. Auswahl und Festlegung der Unterrichtsfächer gehört zu den Grundentscheidungen im Schulbereich, die einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Nach der neueren Rechtsprechung zum Vorbehalt des Gesetzes ist davon auszugehen, daß eine parlamentarische Bestimmung der Bildungs- und Unterrichtsziele zu erfolgen hat. Dies bedeutet keine Verpflichtung des Gesetzgebers, konkrete Lehrpläne zu erstellen, doch ist es erforderlich, konkrete Desolatentscheidungen für den Bildungsauftrag und Unterrichtsstoff vorzugeben. Es kann nicht Aufgabe der Landesparlamente sein, wissenschaftlich-pädagogische Unterrichtsmethoden festzulegen, doch ist die Bestimmung dessen, welche Fächer in welchen Klassen bis zu welchem Alter zu unterrichten sind, eine Grundentscheidung, die dem Gesetzgeber vorzubehalten ist. Eine Regelung allein durch Verwaltungsvorschriften der Beklagten bzw. Organisation der Schule ist als solche nicht ausreichend.

Sinn und Nutzen des Besuchs des Chemie-Unterrichts können - wie sich aus der ausführlichen Begründung des Klägers ergibt - zweifelhaft sein. Folgt aber aus der Schulpflicht die Unterrichtsbesuchspflicht, so folgt hieraus sogleich auch, daß der Kanon der Unterrichtsfächer durch den Gesetzgeber festzulegen ist. Die Schulpflicht - und daraus folgend die Unterrichtspflicht - stellt eine Einschränkung von Grundrechten dar mit der Folge, daß dies nur durch Gesetz oder Grundlagen des Gesetzes erfolgen kann. Da die Einführung des Chemie- Unterrichts in Berlin weder durch Gesetz noch aufgrund eines hinreichend bestimmten Gesetzes erfolgt ist, kann hieraus eine Teilnahmepflicht an dem konkreten Unterrichtsfach nicht abgeleitet werden. Zwar mag - solange eine gesetzliche Regelung oder eine Regelung auf Grundlagen eines Gesetzes nicht erfolgt ist - der Nichtbesuch dazu führen, daß negativ bewertet wird, doch kann eine konkrete Besuchspflicht hieraus nicht abgeleitet werden.

Ergänzende Begründung bleibt vorbehalten.

Beglaubigte Abschrift anbei

Brückner, Rechtsanwalt

Teil 1 der Klageschrift
Teil 3 der Klageschrift


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