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Schule > Unterrichtsverweigerung > Pressemitteilung anläßlich des Vollzugs des Schulausschlusses (27.11.1996)

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Sperrfrist: Mittwoch, 27. November 1996, 10 Uhr

Schulausschluß für kritischen Schüler

Klage vor dem Verwaltungsgericht eingereicht

Dem Schüler Benjamin Kiesewetter wird der Zugang zu seiner Schule verweigert. Der zuständige Schulrat hat gegen ihn den Ausschluß aus der besuchten Schule und die Umschulung in ein anderes Gymnasium ausgesprochen. Der Schüler hat seit Februar 1996 nicht mehr am Chemieunterricht teilgenommen, um auf die "Unsinnigkeit und negativen Folgen fremdbestimmten Lernens" aufmerksam zu machen.

Im Februar hatte der damalige Zehntklässler seiner Schulleitung mitgeteilt, daß er in Zukunft nicht mehr am Chemieunterricht teilnehmen wolle. Als Begründung verwies der heute 17jährige neben lernbiologischen und menschenrechtlichen Argumenten auf einen Chemie-Test, den er bei Lehrern seiner Schule durchgeführt hatte. Kein Lehrer bestand den Test - ein Beweis dafür, daß die Lehrinhalte im Chemieunterricht für viele Menschen überflüssig sind, wie der Schüler findet. Selbst Lehrer kämen jedenfalls gut ohne dieses Wissen aus.

Benjamin Kiesewetter, der der Kinderrechtsgruppe K.R.Ä.T.Z.Ä. angehört, argumentierte vor allem auch mit Erkenntnissen der Psychologie aus den letzten Jahrzehnten, die bewiesen, "welchen Schaden unfreiwilliges Lernen anrichten kann". Nach Ansicht des Schülers verlange seine Schule sturen Gehorsam: "Ich soll nicht deshalb zum Chemieunterricht gehen, weil es sinnvoll oder vernünftig wäre, sondern weil es von oben angeordnet ist." Auch benötige er den Unterrichtsstoff nicht für das Abitur, da Chemie nach der 11. Klasse abgewählt werden kann. Demnach sei für ihn die Teilnahme am Unterricht reine Zeitverschwendung.

Der Schüler war von der Schulleitung, einzelnen Lehrern und dem Oberschulrat mehrere Male aufgefordert worden, sich der Teilnahmepflicht nicht weiter zu widersetzen. Auf die sechs Punkte der Argumentation, mit denen er sein Fernbleiben begründet, wurde jedoch nicht eingegangen. Gegen die Entscheidung des Schulleiters, die Begründung nicht als Entschuldigung anzuerkennen, ist inzwischen beim Verwaltungsgericht Klage eingereicht worden. Darin legt der Rechtsanwalt Jens A. Brückner dar, daß im vorliegenden Fall "eine Anwesenheit im Chemieunterricht zu einer sinnentleerenden physischen Präsenz reduziert werden" würde. Dies könne dem Bildungsauftrag nicht entsprechen. "Vielmehr würde in dieser Situation der Schüler zu einem Objekt der staatlichen Bildungsmacht werden." Das sei mit den offiziellen Zielen der Schule unvereinbar.

Obwohl der Schüler den Unterricht "aus Angst vor dem tatsächlichen Rausschmiß" seit kurzem unter Protest wieder besucht, hat sich die Gesamtlehrerkonferenz mit einer Mehrheit von 43 zu 4 Stimmen für den Ausschluß von der besuchten Schule eingesetzt. Diese Ordnungsmaßnahme ist die schwerwiegendste Schulstrafe, die überhaupt angewendet werden kann.

Inzwischen wurde vom Oberschulrat die Umschulung in ein anderes Gymnasium angeordnet. Dem Schüler wird der Zutritt zu seiner jetzigen Schule verweigert. Gegen die Anordnung des Schulrats ist inzwischen Widerspruch eingereicht worden, gegen die Vollziehung wird beim Verwaltungsgericht eine Einstweilige Verfügung erbeten.

Der Schulsprecher Florian Lehwald (16): "Der Schulrat begründet die Ordnungsmaßnahme mit dem 'fehlenden Bildungswillen' von Benjamin. Das ist schon deshalb schwachsinnig, weil seine Aktion und Begründung Ausdruck seines Bildungswillen sind." Auch weitere Schüler schlossen sich inzwischen dem Protest gegen den Lernzwang an.

Die KinderRÄchTsZÄnker, die hinter der Aktion stehen, hatten sich in den letzten Jahren mehrfach für die Gleichberechtigung der Menschen unter 18 eingesetzt. So gehört Benjamin Kiesewetter auch zu den beiden Jugendlichen, die vergangenes Jahr vor dem Bundesverfassungsgericht wegen "Vorenthaltung des Wahlrechts" geklagt haben. Der Ersatz des Schulzwangs durch ein vernünftig gehandhabtes Bildungsrecht sei eine längst notwendige Maßnahme im Sinne der Gleichberechtigung, gaben die Kinderrechtler zu dieser Aktion zu bedenken.

Der übergreifende Auftrag der Schule, jeden Menschen zum selbständigen und argumentativen Denken zu befähigen, werde in diesem Fall eklatant verletzt, weil eben dieses Denken lediglich als strafwürdiger Ungehorsam gewertet werde.


Weitere Informationen, die Klageschrift und andere Dokumente
finden sich auf den Internetseiten von K.R.Ä.T.Z.Ä.:
http://www.schlund.de/privat/kraetzae


Ein Pressefoto kann man downloaden von
http://www.schlund.de/privat/kraetzae/foto.htm


Rückfragen richten Sie bitte an 030/4254532


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