Kinder als Unternehmer

Die Frage, wie man den arbeitenden Kindern Nicaraguas am besten helfen kann, könnte zu der Antwort führen, daß man sie als kleine Unternehmer versteht und akzeptiert. Sie müßten die Möglichkeit haben, an einem gleichberechtigten Markt in Nicaragua und weltweit teilnehmen zu können. Die populäre Antwort, Kinderarbeit weltweit zu verbieten, führt nur zu schlechteren Arbeitsbedingungen und geringerem Lohn.

Schon in den Vorbesprechungen unserer Reise nach Nicaragua hatten wir Jürgen Zimmer kennengelernt, der in dem Buch "Reichtum von Unten" zusammen mit Günter Faltin auch die Forderung stellt, die Kinder der Armen als Unternehmer zu verstehen. In Somoto, wo ich mit den NATRAS am meisten zu tun hatte, hatten wir die Möglichkeit, Kinder bei ihrer Arbeit zu beobachten. Es ist für junge Menschen in Nicaragua nicht nur möglich, unternehmerisch wirksam zu werden, sondern auch notwendig. In den meisten Familien wird das Einkommen, das die Kinder verdienen, gebraucht - obwohl dieses Einkommen in nahezu allen Fällen extrem gering ist.

Wer sich wie Unicef und Norbert Blüm für ein Verbot von Kinderarbeit ausspricht, erreicht nicht, daß Kinder tatsächlich nicht mehr zum Arbeiten gezwungen sind. Wer, wie die Kinder Nicaraguas auf ein Einkommen angewiesen ist, rutscht durch das Verbot mit seiner Arbeit in die Illegalität. Dadurch bleibt die Arbeit der Kinder gesellschaftlich nicht gewürdigt und sie können nicht vor Ausbeutung geschützt werden. Ein Kinderarbeitsverbot bedeutet hier nur, daß Kinder unter schlechteren Bedingungen und für schlechtere Bezahlung arbeiten müssen. Die Kinder wissen, wie wichtig ihre Arbeit ist, und fordern daher nicht das Verbot sondern die Würdigung ihrer Arbeit. "Wenn wir schon arbeiten, dann haben wir auch das Recht dazu und dieses Recht kann man uns nicht wegnehmen" (siehe Abschlußerklärung des IV. Regionalen Treffens 1996) Deshalb fordern die NATRAS auch nicht das Verbot sondern ihr Recht auf Arbeit ohne Ausbeutung. Weil sie sich nicht gegen Kinderarbeit ausgesprochen haben, bekommen sie jetzt auch von Unicef keine Unterstützung mehr.

Wer jungen Menschen in Nicaragua dauerhaft helfen will, der tut es nicht, indem er ihnen Geld gibt und sich einbildet, sie somit für kurze Zeit vom Arbeiten abzuhalten. Vielmehr muß man sich vom Mythos der generell furchtbaren Kinderarbeit befreien und sich gemeinsam mit den Kindern um eine humane und kreative Arbeit für Kinder bemühen, die eine lukrative Alternative für sie ist.

Im Casita del Mercado- einem Markthäuschen für NATRAS in Somoto- haben wir die NATRAS gefragt, wie sie gerne ihr Geld verdienen würden. Die spontane Idee war Getränkeverkauf. Wir hätten das Startkapital geliehen oder gespendet und ein paar muchachos hätten Getränke verkauft. Aus dem Geschäft wurde nichts. Von den fünf Flaschen, die pro Tag verkauft werden könnten, bliebe am Ende so wenig für die Jungs übrig, daß sie dann lieber wieder Schuhe geputzt hätten. Die Konkurrenz in der Branche ist verdammt stark. Gekühlte Getränke gibt es in Somoto alle zehn Meter.

"Das beste Kapital ist eine gute Idee", schrieben schon Zimmer und Faltin, und daran war unser Unternehmen schließlich auch gescheitert. Getränkeverkauf war keine gute Idee, jedenfalls nicht zu einem Zeitpunkt, zu dem zu viele junge und alte Menschen diese Idee schon gehabt hatten.

Wir brauchen auch nicht als Deutsche oder Reiche daherkommen und für ein Startkapital sorgen. Wir müßten bloß unsere Märkte öffnen. Und davor hat die Festung Europa zu große Angst. Denn sie weiß doch recht gut: würde sie die Grenzen fallen lassen, den wirklichen Markt zulassen, dann hätten die von uns so getauften "Entwicklungsländer" doch eine gute Chance, mit ihren preiswerten Produkten hier Gewinne zu erzielen. Und wo es Gewinner gibt, da sind die Verlierer meist auch nicht weit: das wären in diesem Fall jedoch die großen Wirtschaftsriesen, die mit ihren komplett überteuerten Konsumgütern den kleinen Produkten aus zum Beispiel Nicaragua nicht standhalten könnten. Armut von oben.

Es wird natürlich nicht nur die Großen betreffen. Auch die Klein-Unternehmer, die knapp wirtschaften müssen, wären erst mal betroffen und würden eingehen, weil sie keine Rücklagen haben. Sie müßten sich mit guten Ideen behaupten, und sind darin möglicherweise flexibler als die Großen mit ihren hohen Verwaltungs- und anderen Kosten. Wir könnten also arbeitenden Kindern zum Beispiel helfen, indem wir ihre guten Ideen möglichst bei uns anbieten und ihren Produkten hier durch einen niedrigen (also ehrlichen) Preis zum Absatz verhelfen.