Pressemitteilung

27. August 1998
Anfechtung der
Bundestagswahl angekündigt
Kinderrechtsgruppe für Wahlrecht ohne Altersgrenze
Gericht verschleppt Klage
Einen Monat vor der Bundestagswahl droht die Berliner Kinderrechtsgruppe K.R.Ä.T.Z.Ä. mit der Anfechtung der bevorstehenden Bundestagswahl, da ein Fünftel der Bevölkerung vom politischen Grundrecht auf Mitbestimmung ausgeschlossen bleibt. Die Anfechtung sei juristisch gerechtfertigt, da eine bereits im Februar beim Berliner Verwaltungsgericht eingereichte Klage des Schülers Robert Rostoski vom Gericht nicht bearbeitet werde.

Die Klage richtet sich gegen die Entscheidung des Wahlamtes von Berlin-Mitte, dem Antrag des inzwischen 17jährigen Schülers auf Eintragung in das Wahlverzeichnis nicht stattzugeben. Die vom Münchener Rechtsanwalt Peter Merk verfaßte Klageschrift beruft sich auf den Artikel 20(2) des Grundgesetzes, wonach alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, zu dem Menschen unter 18 Jahren unzweifelhaft gehören.

Nach Ansicht von Rechtsanwalt Merk hatte das Gericht im Vorfeld der Bundestagswahl mehrere Monate, also ausreichend Gelegenheit, dem Verfahren seinen Fortgang zu geben. "Falls die Richter - aus welchen Gründen auch immer - die Hoffnung haben sollten, mit dem Verstreichen der Wahl erledige sich die Klage, haben sie sich getäuscht", so Merk. Das Verfahren werde in diesem Fall als Fortsetzungsfeststellungsklage weitergeführt, was zur Rechtswidrigkeit der gesamten Bundestagswahl führen könne.

Bereits vor drei Jahren hatte die Gruppe K.R.Ä.T.Z.Ä. eine Verfassungsbeschwerde wegen Vorenthaltung des Wahlrechts beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. Diese war aus formalen Gründen nicht angenommen worden, weil die Klage nach Meinung des Gerichtes bereits in den 50er Jahren hätte eingereicht werden müssen, als die Kläger noch gar nicht geboren waren. Durch die Klage gegen einen aktuellen Verwaltungsbescheid soll dies umgangen werden.

"Jeder Mensch, der möchte, soll unabhängig vom Alter an der Wahl teilnehmen können." Mit dieser grundlegenden Veränderung wollen die KinderRÄchTsZÄnker zwei Ziele erreichen:

Erstens sollen sich durch das geänderte Wahlrecht junge Menschen bei politischen Entscheidungen stärker einbringen können, damit ihre gegenwärtigen und zukünftigen Interessen in unserer Gesellschaft eine größere Rolle spielen und ernstgenommen werden. Die Änderung des Wahlrechts soll in diesem Sinn die Parteien und die erwachsenen Wähler zum Nach- und Umdenken veranlassen.

Zweitens soll auf die auch in anderen Lebensbereichen anzutreffende mangelhafte Rechtsstellung der Menschen unter 18 Jahren und ihre Rolle in der Gesellschaft aufmerksam gemacht werden, um auch dort - mittelbar - für Veränderung zu sorgen.

Die Forderung der KinderRÄchTsZÄnker nach einer Änderung des Grundgesetzartikels 38(2), in dem das Wahlalter festgelegt ist, hat im Herbst 1997 prominente Unterstützung durch die damalige Berliner Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit erfahren. In einem Artikel der angesehenen Fachzeitschrift "Neue Juristische Wochenschrift" hatte sie sich ebenfalls für das demokratische Prinzip "Ein Mensch - eine Stimme" eingesetzt. Im Unterschied zu K.R.Ä.T.Z.Ä. fordert sie allerdings, daß die Wahlstimme der Kinder von den Eltern treuhänderisch genutzt werden soll. Nach Ansicht von K.R.Ä.T.Z.Ä. würden bei dieser Regelung Kinder ihre eigenen Interessen ebensowenig einbringen können wie derzeit.


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Die Altersgrenze werde oft mit einem Mangel an Kompetenz und Urteilsfähigkeit von jungen Menschen begründet. Dieses Argument sei jedoch unzulässig. Niemand sei berechtigt, über die Qualität der Argumente oder die Qualifikation des Wählers zu entscheiden. In einer Demokratie würden Stimmen quantitativ gezählt, wenn sich keine Einigung erzielen lasse. - Selbst wenn die politische Urteilsfähigkeit ein Kriterium wäre, sei sie mit willkürlichen Altersgrenzen unvereinbar. Das Alter eines Menschen garantiere weder Reife noch die Fähigkeit zu verantwortlichem Handeln. Dem Einwand, Kinder seien zu leicht zu beeinflussen, hält K.R.Ä.T.Z.Ä. entgegen, daß Beeinflussung bei jeder Kommunikation stattfinde und Grundlage des Wahlkampfes sei. Statt etwa 20% der Bevölkerung pauschal auszuschließen, sei der Wahlkampf gegebenenfalls anders zu regeln. Der Frage, ob auch Babies wählen sollen, entgegneten die KinderRÄchTsZÄnker, daß es sich um ein Recht handele und nicht um eine Pflicht. Grundrechte dürften Menschen nicht wegen mangelnder Fähigkeiten vorenthalten werden.

Die bestehende Liste der prominenten Unterstützer der KinderRÄchTsZÄnker ist seit 1995 gewachsen. So haben sich neben einigen Mitgliedern des deutschen Bundestages und Abgeordneten verschiedener Landesparlamente auch das bundesweite Grün-Alternative Jugendbündnis, die Katholische Junge Gemeinde Bayerns und die neugegründete Stiftung für die Rechte der zukünftigen Generationen der Forderung nach einem Wahlrecht ohne Altersgrenze angeschlossen.


Zahlreiche weitere Argumente und Informationen, u.a. die Widerspruchsbegründung unseres Rechtsanwaltes und den Text von Lore Maria Peschel-Gutzeit finden Sie auf unseren Internetseiten. Auch Pressefotos kann man downloaden:

http://privat.schlund.de/kraetzae

Wir freuen uns auf ihren Rückruf: 030/4479722


Die Arbeit der KinderRÄchTsZÄnker wird vom Bezirksamt Prenzlauer Berg, dem Deutschen Kinderhilfswerk und der Jugend- und Familienstiftung des Landes Berlin finanziell unterstützt.

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