KinderRÄchTsZÄnker - K.R.Ä.T.Z.Ä.
im Netzwerk SPIEL / KULTUR
Prenzlauer Berg e.V.
Hufelandstr. 19,
10407 Berlin
Tel. und Fax 030/4254532
Pressemitteilung
Sperrfrist: Mittwoch, 27. November 1996,
10 Uhr
Schulausschluß für kritischen
Schüler
Klage vor dem Verwaltungsgericht
eingereicht
Dem Schüler Benjamin Kiesewetter wird der Zugang
zu seiner Schule verweigert. Der zuständige Schulrat hat gegen ihn
den Ausschluß aus der besuchten Schule und die Umschulung in ein
anderes Gymnasium ausgesprochen. Der Schüler hat seit Februar 1996
nicht mehr am Chemieunterricht teilgenommen, um auf die "Unsinnigkeit
und negativen Folgen fremdbestimmten Lernens" aufmerksam zu
machen.
Im Februar hatte der damalige Zehntklässler seiner
Schulleitung mitgeteilt, daß er in Zukunft nicht mehr am Chemieunterricht
teilnehmen wolle. Als Begründung verwies der heute 17jährige neben
lernbiologischen und menschenrechtlichen Argumenten auf einen Chemie-Test,
den er bei Lehrern seiner Schule durchgeführt hatte. Kein Lehrer
bestand den Test - ein Beweis dafür, daß die Lehrinhalte im Chemieunterricht
für viele Menschen überflüssig sind, wie der Schüler findet. Selbst
Lehrer kämen jedenfalls gut ohne dieses Wissen aus.
Benjamin Kiesewetter, der der Kinderrechtsgruppe K.R.Ä.T.Z.Ä.
angehört, argumentierte vor allem auch mit Erkenntnissen der Psychologie
aus den letzten Jahrzehnten, die bewiesen, "welchen Schaden
unfreiwilliges Lernen anrichten kann". Nach Ansicht des Schülers
verlange seine Schule sturen Gehorsam: "Ich soll nicht deshalb
zum Chemieunterricht gehen, weil es sinnvoll oder vernünftig wäre,
sondern weil es von oben angeordnet ist." Auch benötige er
den Unterrichtsstoff nicht für das Abitur, da Chemie nach der 11.
Klasse abgewählt werden kann. Demnach sei für ihn die Teilnahme
am Unterricht reine Zeitverschwendung.
Der Schüler war von der Schulleitung, einzelnen Lehrern und
dem Oberschulrat mehrere Male aufgefordert worden, sich der Teilnahmepflicht
nicht weiter zu widersetzen. Auf die sechs Punkte der Argumentation,
mit denen er sein Fernbleiben begründet, wurde jedoch nicht eingegangen.
Gegen die Entscheidung des Schulleiters, die Begründung nicht als
Entschuldigung anzuerkennen, ist inzwischen beim Verwaltungsgericht
Klage eingereicht worden. Darin legt der Rechtsanwalt Jens A. Brückner
dar, daß im vorliegenden Fall "eine Anwesenheit im Chemieunterricht
zu einer sinnentleerenden physischen Präsenz reduziert werden"
würde. Dies könne dem Bildungsauftrag nicht entsprechen. "Vielmehr
würde in dieser Situation der Schüler zu einem Objekt der staatlichen
Bildungsmacht werden." Das sei mit den offiziellen Zielen der
Schule unvereinbar.
Obwohl der Schüler den Unterricht "aus Angst vor dem tatsächlichen
Rausschmiß" seit kurzem unter Protest wieder besucht, hat sich
die Gesamtlehrerkonferenz mit einer Mehrheit von 43 zu 4 Stimmen
für den Ausschluß von der besuchten Schule eingesetzt. Diese Ordnungsmaßnahme
ist die schwerwiegendste Schulstrafe, die überhaupt angewendet werden
kann.
Inzwischen wurde vom Oberschulrat die Umschulung in ein anderes
Gymnasium angeordnet. Dem Schüler wird der Zutritt zu seiner jetzigen
Schule verweigert. Gegen die Anordnung des Schulrats ist inzwischen
Widerspruch eingereicht worden, gegen die Vollziehung wird beim
Verwaltungsgericht eine Einstweilige Verfügung erbeten.
Der Schulsprecher Florian Lehwald (16): "Der Schulrat begründet
die Ordnungsmaßnahme mit dem 'fehlenden Bildungswillen' von Benjamin.
Das ist schon deshalb schwachsinnig, weil seine Aktion und Begründung
Ausdruck seines Bildungswillen sind." Auch weitere Schüler
schlossen sich inzwischen dem Protest gegen den Lernzwang an.
Die KinderRÄchTsZÄnker, die hinter der Aktion stehen, hatten
sich in den letzten Jahren mehrfach für die Gleichberechtigung der
Menschen unter 18 eingesetzt. So gehört Benjamin Kiesewetter auch
zu den beiden Jugendlichen, die vergangenes Jahr vor dem Bundesverfassungsgericht
wegen "Vorenthaltung des Wahlrechts" geklagt haben. Der
Ersatz des Schulzwangs durch ein vernünftig gehandhabtes Bildungsrecht
sei eine längst notwendige Maßnahme im Sinne der Gleichberechtigung,
gaben die Kinderrechtler zu dieser Aktion zu bedenken.
Der übergreifende Auftrag
der Schule, jeden Menschen zum selbständigen und argumentativen
Denken zu befähigen, werde in diesem Fall eklatant verletzt, weil
eben dieses Denken lediglich als strafwürdiger Ungehorsam gewertet
werde.
Weitere Informationen,
die Klageschrift und andere Dokumente
finden sich auf den Internetseiten von K.R.Ä.T.Z.Ä.:
http://www.schlund.de/privat/kraetzae
Ein Pressefoto kann
man downloaden von
http://www.schlund.de/privat/kraetzae/foto.htm
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Sie bitte an 030/4254532
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