Freudige Überraschung -
Ankunft in der Sands School

Irgendwann mittendrin, es war längst dunkel, erreichten sie Ashburton. Gepeitscht vom unglaublichen Regen und ermattet von der langen Autofahrt rollten diese zwei, nun schon so weitgereisten Autos langsam die schmale Hauptstraße entlang. Kleine, zweistöckige Wohnhäuser, links und rechts, kaum noch ein Licht war in den Fensterscheiben zu sehen.
Plötzlich blieben sie stehen. Stand da links an dem matt schimmernden Haus etwa SANDS SCHOOL? Wahrhaftig. Und schon fuhren die beiden Gefährte durch die enge Toreinfahrt. Doch was sahen sie da! Ein großer Elefant guckte sie mit glühenden Augen wissend an, seinen langen Rüssel in den Wind hängend. Blitzschnell trugen die 13 Personen ihr Gepäck in das Haus. In die ungeheizte Sands School...
Am nächsten Morgen schien die Sonne. Joana, eine Lehrerin, kam fröhlich in den Essensraum, in dem wir gerade das erste Mal frühstückten. Mit einem Korb voll Essen in der Hand begrüßte sie uns sehr freundlich und ahnte natürlich schon, wer wir sind. Einige Schüler hatten schon (eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn) ihren Kopf durch die Tür gesteckt, waren aber hauptsächlich damit beschäftigt, sich nach der vergangenen Ferienwoche selbst wiederzusehen.
Um das Geheimnis der letzten Nacht zu lüften, war ich vor dem Frühstück nach draußen gegangen, um noch einmal dem Elefanten zu begegnen. Und wie schon geahnt, war das lebensgroße Tier eine selbstgebaute Pappmaché-Draht-Attrappe. Im Flur hängende Fotos von der Bauaktion hatten mir noch in der Nacht die Angst genommen.
Sowieso schien mir der Flur eine wichtige Rolle zu spielen. Natürlich einmal, wie jeder Flur, weil er der Eingangsraum ist. Aber vor allem, weil seine Wände voll mit organisatorischen Plakaten hängen. „Wer kommt mit zur Klettertour?“ „Wer will eine Koch-AG bei Joana machen?“ „Wer hat Putzdienst?“ usw. Überall las ich Namen, von verschiedenen Schülern eingeschrieben. Auch beim Putzen.
Von der linken Seite des Flurs gehen zwei Räume ab; das für jeden offene Büro, mit Sofa, Computer, Schreibtisch und natürlich allerlei Akten- und Zettelkram, und außerdem ein Raum, den mehrmals in der Woche eine Gruppe von Homeschoolern* im Grundschulalter nutzt, damit sie neben dem Lernen zuhause auch soziale Kontakte knüpfen.
Geradeaus führt der Flur zu der Treppe nach oben. Hier ziehen sich immer alle die Schuhe aus (eine selbst aufgestellte Regel), weil der Teppich oben nicht schmutzig werden soll. In diesem überall beteppichten oberen Stockwerk befinden sich fast alle Unterrichtsräume und eigentlich in jedem steht mindestens ein Sessel. An den Wänden stehen Bücherregale und den Tag über sitzen in den verschieden großen Zimmern ständig Schüler. Entweder während des Unterrichtes und auch sonst, um zu reden, Musik zu hören, Musik zu machen, zu lesen... Wozu sie halt Lust haben.
Meistens, wenn eine Unterrichtseinheit beginnt, verschwinden viele hinter den Türen und lernen neue Dinge, reden z.B. mit ihrer Lehrerin über Verhütungsmethoden, füllen französische Arbeitsblätter aus oder stellen mathematische Terme auf. Die Schüler töpfern in ihrem separaten und sehr schönen Kunstraum oder testen im Naturwissenschaftsraum die Schwerkraft.
Dinge, die auch in jeder staatlichen oder deutschen Schule passieren. Und doch sind sie hier ganz anders. Zu fünft, manchmal auch zu fünfzehnt, sitzen die Schüler dann um einen Tisch und reden zusammen mit den Lehrenden über alles Neuerfahrene. Gehen manchmal raus, um sich einen Tee zu machen, kommen aber meistens sofort wieder, um alles mitzukriegen.
In den Pausen kann sich jeder am Kochen beteiligen oder sich seelisch auf Halloween* vorbereiten. Auf dem kleinen Sportplatz hinter dem Haus kann man sich austoben und der sonstige Garten kann auf viele Weisen genutzt werden. Wer will, kann sich kurzfristig abmelden und z.B. nach Plymouth oder ins Moor fahren.
Kein Gefühl von Freiheitsberaubung, Unterdrückung oder Bevormundung, einfach ein Ort zum Lernen und Erfahren.

Gegen 15:45 Uhr enden für gewöhnlich die Stunden. Bis 16 Uhr kümmern sich dann alle noch um die Sauberkeit der Schule; dies nennen sie Useful Work*. Es war nicht leicht für uns, einen wirklich nahen Kontakt zu den Schülern aufzubauen, denn sie wurden nach der Schule von den Lehrern in die teilweise nicht sehr nahen Wohnorte zurückgefahren.
Was ich noch unbedingt erwähnen will, ist das von Anfang an bestehende Vertrauen der Schule gegenüber uns fremder Gruppe von weit her. Einen Schlüssel hatte man uns gegeben, nachts gehörten uns die Räume, man verlangte kein Geld von uns, am Unterricht konnten wir selbstverständlich teilnehmen. Wir revanchierten uns mit Kochunterstützung, einem Berlinbuch und natürlich der ausdrücklichen Einladung der Schüler nach Berlin.
Doch wieder mal verwiesen auf eine deutsche Staatsschule, sind diese (eigentlich?!) natürlichen Umgangsformen eine Rarität. Und damit meine ich nicht nur das uns entgegengebrachte Vertrauen und die Freundlichkeit der Sands-Menschen, sondern vor allem die freundliche Atmosphäre und das gesamte Miteinander in Sands. Ich hatte einfach überhaupt nicht den Eindruck von Machtverhältnissen und Zwang auf der Schule. Kinder und Erwachsene leben dort gleichberechtigt!

Paula Sell